Yinka Shonibare
Discobolus (nach Naukydes)
Der renommierte britisch-nigerianische Künstler Yinka Shonibare CBE RA (1962 London, GB) hat ein vielseitiges Œuvre geschaffen, in dem er das Erbe des ehemaligen Britischen Weltreichs und des westlichen Kolonialismus untersucht. Bekannt geworden ist Shonibare durch seine raumgreifenden Installationen mit kopflosen, lebensgroßen Figuren in historischen Kostümen, die aus mit markanten und bunten Mustern verzierten Baumwollstoffen (Dutch Wax) geschneidert sind. Der Künstler sieht sich selbst in der Rolle eines „postkolonialen Hybriden“ und stellt die Dekonstruktion von nationalen und kulturellen Identitäten ins Zentrum seines Schaffens. Er greift bevorzugt Episoden aus der europäischen Kunst und Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts auf und gestaltet sie zu tragikomischen Szenen des menschlichen Tuns aus.
Das Globushaus im Gottorfer Barockgarten zeigt Shonibares lebensgroße Figur „Discobolus (nach Naukydes)“, die durch die römische Wiederholung einer verlorengegangenen griechischen Skulptur aus dem späten 5. Jahrhundert v. Chr. inspiriert ist. Die bekannte Figur wurde über Jahrhunderte als Darstellung des schönen, aber tragischen Jünglings Hyakinthos gesehen, der bei einem Wettkampf ums Leben kam und aus dessen vergossenem Blut der trauernde Gott Apoll eine Blume, die Hyazinthe, erblühen ließ. Shonibare bezieht sich auf die antike Skulptur und lässt seinen Diskuswerfer in bunter Bemalung auftreten, die wiederum das Kolorit und die Motivik westafrikanischer Mode (Dutch Wax-Stoffe) zitiert.
Die bunte Skulptur wird zu einer Art Metapher, die den idealisierten antiken Körper mit verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven versieht. Die aufgemalten Flugzeuge erinnern an militärische Bomber, die von Rauchschwaden begleitet und umhüllt werden – sie verweisen auf globale Konflikte. Der Kopf der Skulptur wird durch einen handbemalten Globus ersetzt, der die weltumspannende Perspektive betont. Anstelle des Gesichts wendet sich der afrikanische Kontinent direkt zu den Betrachtenden. Während die antike Marmorskulptur aufgrund ihrer Materialität einen halbhohen Baumstamm benötigt, um dem athletischen Hyakinthos Halt zu geben, kommt der Diskuswerfer von Shonibare ohne stützendes Beiwerk aus. Shonibares Discobolus verknüpft europäische Kunstgeschichte mit aktuellen postkolonialen Diskursen: die Welt war und ist bunter, vielfältiger und komplexer als wir uns gemeinhin vorstellen.